Morgenschriebe: Psycho-Vampir (Teil 4/4)

/ Juni 9, 2014

how-to-make-vampire-teeth-v1-one-fangDieser Post ist Teil einer Reihe von Morgenschrieben (eine Schreibübung von Dorothea Brande – Details), die ich genau so abgetippt habe, wie sie mir früh morgens aus dem Hirn gefallen sind. Der Authentizität halber habe ich alle Buchstabnedreher dringelassen.

Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

Triggerwarnung

Häusliche Gewalt, Kidnapping, V*rgew*lt*gung

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 Sie geht raus und isst. Sie geht raus und redet mit anderen Menschen. Es ist ihr unangenehm, nicht erzählen zu können, wie sie tatsächlich lebt, aber sie hat noch ihr Leben davor, ihr Leben, das die anderen Menschen verstehen können, das sie ihr glauben können.
So viele Erinnerungen, gute und schlechte. Freundinnen und Freunde, ein Hobby – Fotoalben – ein zweites – Klettern – eine Familie, die meistens streitet, eine Arbeit, die das Geld einbringt, das sie zum Leben braucht, um mit den Menschen, die sie liebt, und ihren Hobbies eine schöne Zeit haben zu können.
Wo ist er plötzclich hergekommen? Wo hat sie ihn getroffen? Was hat er zu ihr gesagt? Diese Erinnerungen sind so blass, dass es ihr vorkommt, als wäre alles nie wirklich passiert.
Es regnet, während sie den Weg zurück zum Haus irgend eines fremden Menschen sucht. Sie läuft und läuft, bis sie bemerkt, dass ihre Hände an Sichtbarkeit verlieren. Erschrocken bleibt sie stehen, macht kehrt, doch ihre Hände bleiben schemenhaft.
In ihrer Verzweiflung wagt sie es schließlich, jemanden anzusprechen und nach dem Weg zur letzten Straße zu fragen, deren Namen sie im Vorbeigehen gelesen hat.
„Sie sehen furchtbar blass aus.“ sagt die junge Frau mit dem Säugling im Tragegestell auf ihrem Rücken, nachdem sie den Weg erklärt hat. „Kann ich weitergehen, ohne mich zu fragen, ob sie hinter der nächsten Ecke zusammenklappen?“
Sie blickt auf ihre Hände, die Fugeen im Gehsteig, die hindurchschimmern. Sie lächelt. „Danke, ich komme schon zurecht.“
„Gut.“ Die Frau erwidert ihr Lächeln. „Dann haben Sie noch einen schönen Tag.“

Außer Atem und verschwitzt erreicht sie die Straße nach der sie gefragt hat, doch ihre Hände sind durchscheinender als je zuvor.
Panik. Sie meint, eine der Häuserzeilen wiederzuerkennen, ist sich dann nicht mehr sicher, rennt die Straße bis zu ihren Enden hinauf und hinab. Nichts. Nichts kommt ihr bekannt genu vor, um als Wegweiser zu dienen. Auf der nächstbesten regennassen Haustreppe lässt sie sich fallen, versteckt ihr Gesicht in den Armbeugen und weint.

Es dämmert, als ihre Hände wieder Farbe bekommen, weil er sie endlich findet.
Sie springt auf, blickt sich aufgeregt um, ruft seinen Namen, ohne sich vom Fleck zu führen. Dann entdeckt sie ihn endlich und rennt zu ihm, obwohl sein Gesichtsausdruck Prügel verheißt.
„Ich bin so froh, dich zu sehen!“ schluchzt sie, während sie sich an ihn drängt. „Ich hatte solche Angst!“
Er schnaubt. „Du bist also zu blöd, dir einen Straßennamen zu merken.“
„Ich hätte ihn mir aufschreiben sollen, so wie ich es die letzten Male immer getan habe. Es tut mir so leid.“
„Ich habe stundenlang nach dir gesucht!“ brüllt er sie an und stößt sie von sich.
„Das weiß ich doch. Es tut mir so, so leid.!
Mürrisches Knurren. „Du bist zu dumm, das Haus zu verlassen. Das war dein letzter Ausflug.“
Sie reibt sich das Gesicht. Stimmt ihm zu, dass das wohl das beste wäre. Mit ihm zu streichen, bringt nichts als Schläge. Ihm zu sagen, was er hören will, senkt seine Wachsamkeit. So hofft sie jedenfalls und bestellt sich Pizza während er schläft.

Sie spielt Normalität, während sie weiterziehen, sieht fern, liest die Bücher von Fremden, erinnert sich heimlich an das Leben, das sie angeblich nicht mehr hat. Es war nicht perfekt. Es gab Dinge, die sie hasste, Dinge, vor denen sie auf der Flucht war. Aber diese Dinge hätte sie ändern können, abstellen. Im Gegensatz zu dem, was sie jetzt hasst.
Oh, er spielt gut. Er spielt den auf Harmonie bedachten, reuevollen Schläger fast so gut wie sie die Normalität. Doch er findet immer wieder Gründe, sie in die Schmerzen und Ängste zu stürzen, von denen er sich am liebsten ernährt. Der HÄufigste Grund: „Ich habe Hunger.“
Er tut so, als würde er sich für das schämen, was er ist, aber sie hat gelernt, ihn zu durchschauen, das Spiel zu erkennen. Es macht ihm Spaß, zu versuchen, nach allem, was er ihr angetan hat, noch einen Funken Mitgefühl aus ihr herauszulocken.
Doch die Märtyrerin, die sie anfangs noch sein zu wollen glaubte, ist ausgebrannt. Vielleicht verdient sich nicht, etwas besseres vor die Nase gesetzt zu bekommen, aber sie verdeint es, sich aus dem Mist etwas besseres erarbeiten zu können. Und das wird sie tun.

Schon am Eingang des Bahnofs haben ihre HÄnde an Dichte verloren. Ihr Herz rast. Ihr schwindelt. Sie schwitzt und zweifelt daran, dass es so eine gute Idee ist, was sie hier tut. Was, wenn sie sich wirklich auflöst? Was, wenn er überlebt und sie verfolgt?
Am Automaten sucht sie sich die nächste Verbindung nach Hause heraus, zu ihrem alten Leben, aus dem sie etwas schönes machen wird, ganz gleich, was dazu nötig ist.
Quietschend und zischend hält Zug um Zug an ihrem Gleis. Mit jedem wird sie noch ein bisschen nervöser, doch als schließlich ihr Zug kommt, senkt sich eine klare, leichte Ruhe über sie. Vielleicht trifft sie die falsche Eintscheidung, wenn sie einsteigt. Vielleicht beschwört sie eine Katastrophe herauf. Aber es ist ihre Entscheidung, ihr Leben, ihr Wille. Diese Freiheit ist alles, was sie nocht hat, und sie wird etwas daraus machen.
Die Türen des Zuges schließen sich hinter ihr.


Geschrieben am 18.09.2014 in 1:40.

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