Anti-Schreibtipp: Mit dem Alltag beginnen

/ November 26, 2011

Auf einem recht werbungsdurchtränkten Blog stieß ich auf folgenden, auch an anderen Stellen gerne gegebenen Schreibtipp: Stellen Sie am Anfang der Geschichte erstmal Ihre Charaktere in ihrem Alltag vor.
Als Begründung wird verschiedenes angegeben. Im Falle dieses Blogs ist es der Kontrast zwischen Vorher und Nachher, den der Leser nur erleben könne, wenn er das Vorher auch kenne.
Ist an sich ein guter Punkt.
Weiter geht es mit dem Hinweis, dass man dann im Verlauf der Action immer wieder Bezüge auf diesen vergangenen Alltag einbauen kann.

Da sag ich nur: Super Idee; dann können wir auch den langen, uninteressanten Blick auf den Alltag ganz am Anfang der Geschichte streichen. Wenn wir alles eh noch mal in die Geschichte integriert erzählen – zu einem Zeitpunkt, zu dem der Leser den Charakter in Action kennt und ihn so interessant findet, dass er auch gern lesen würde, wo dieser Held denn eigentlich herkommt, so historisch gesehen.
Es ist natürlich etwas kniffliger, den Alltag so zu zeigen, weil man einen Aufhänger braucht, einen passenden Kontext, kurze, prägnante Schilderungen, um nicht aus dem einen großen initialen Infodump viele kleine verstreute Infodumps zu machen. Aber erstens hat niemand behauptet, es wäre einfach, eine mehrfadige Geschichte zu strukturieren, und zweitens verzeiht der Leser einen kleinen Infodump inmitten toller Spannung eher, als einen Sumpf gleich auf den ersten Seiten.

Zumindest ich will von der ersten Seite an gut unterhalten werden, wenn ich ein Buch lese. Mir ist es zu mühsam, mich durch total irrelevante Nichtigkeiten aus dem Leben des Heinz Spaten kämpfen müssen, nur um nachher die Veränderung besser würdigen zu können (wenn sich eben jener so normale Heinz Spaten zum futuristischen Napoleon Bonaparte gemausert hat, der – vielleicht, vielleicht aber auch nicht – seine Welteroberungsarmee traditionsreich vor eine Wand namens ‚Russischer Winter‘ fahren wird).
Ich lese lieber über Future-Napoleons verrückte Welttournee und lasse mich davon überraschen, dass er seinem Leibarzt oder der Geliebten nur von bescheidenen, ja ärmlichen Verhältnissen im New Korsika seiner Kindheit zu berichten weiß.

Als Autorin würde ich mich genötigt fühlen, mir einen total schrägen Alltag aus den Rippen zu leiern, nur damit der arme Leser nicht einschläft, ehe ich mal mit der eigentlichen Geschichte zu Potte komme. Das kann man vielleicht ein- zweimal machen, aber was fällt auf? Kein Unterschied mehr zwischen der Action und dem Alltag vorher. Kontrast versickert. Pech gehabt.

Mein Tipp gegen den Anti-Tipp: Erst Interesse wecken, dann langweilige Details einfüttern.

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