Schriftsteller_in werden: Von Kritik, nassen Katzen und Überarbeitungsstrategien

/ Juni 15, 2014

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Kritik ist so eine Sache. Auf der einen Seite ist den meisten von uns Autor_innen bewusst, dass wir uns und unsere Arbeit nicht weiterentwickeln können, wenn wir uns nicht regelmäßig unsere Fehler und Schwächen aufzählen lassen. Auf der anderen Seite ist die Katze hier links eine anschauliche Metapher für so manches Nachkritiksgefühl.

Ich habe mir mal ein paar Gedanken dazu gemacht, warum das so ist und wie man (oder zumindest ich) auch aus solcher Nasse-Katze-Kritik überhaupt nichts, oder eben noch möglichst viel für sich (oder zumindest mich) herausholen kann.

1. Ursache: Kritiker_in verreißt deine Arbeit.
Den Fall hatte ich vor kurzem erst. Jemand beendete eine Kritik an meiner Arbeit mit einem Satz à la: „Jetzt bin ich sauer, dieser Text langweilt mich total, es passiert überhaupt nichts, und ich hab keine Lust, die letzte Seite auch noch zu lesen.“
Autsch. Zu allem Überfluss kam diese Aussage von jemandem, dem ich kurz vorher unter für mich nennenswertem Energieeinsatz bei der Lösung eines Problems geholfen hatte. Da war ich erstmal pissig und verstand die Welt nicht mehr.
Warum eine starke (also nicht ‚diplomatisch‘ formulierte), negative Kritik weh tut, ist ziemlich offensichtlich. Es liest sich so, als würde deiner Arbeit – und folglich deinem Schrifftsteller_in-Sein – die Existenzberechtigung abgesprochen, und das auch noch ohne Höflichkeit oder Rücksicht auf deine Gefühle.

Mögliche Herangehensweisen:
a. Beschwere dich und verteidige deine Arbeit. Unfriende die Kritiker_in im Zorn.
Vorteil: Du zeigst, dass man mit dir nicht so reden kann, dass die Kritik völlig ungerechtfertigt ist und dass du dir viele viele Gedanken gemacht hast.
Nachteil: Du verschwendest Zeit und Energie an einen Streit, der niemandem etwas bringt (außer erhöhtem Blutdruck vielleicht). All die berechtigte Kritik, die hinter den zu starken Worten steckt, geht dir verloren – genau so wie zukünftige berechtigte Kritik von dieser Person.

b. Ignoriere die Kritik. Lies ein paar Szenen, auf die du stolz bist, um dein Selbstwertgefühl wieder aufzubauen, unfriende die Kritiker_in in stiller Genugtuung.
Vorteil: Dir geht es schnell wieder besser und du hast die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Verrisses reduziert.
Nachteil: All die berechtigte Kritik, die hinter den zu starken Worten steckt, geht dir verloren – genau so wie zukünftige berechtigte Kritik von dieser Person.

c. Denke dir, dass die Kritiker_in so leidenschaftlich bei der Sache ist, und ihr gute Literatur so wichtig ist, dass sie über irgend einen dahergelaufenen Text (der diesmal zufällig von dir stammt) in ausfallende Rage geraten kann. Ignoriere den Tonfall der Kritik, nicht aber ihren Inhalt, frage bei Unklarheiten nach, höre zu, lerne.
Vorteil: Sowohl für eine ungestüme Kritiker_in als auch für einen Troll ist diese Herangehensweise brauchbar, d.h. weder vergrätzt du jemanden, der dir nutzen kann, noch gibst du jemandem Futter, der dir nur weh tun will. Sollte der harte Tonfall anhalten, kannst du immer noch auf Methode a. umsteigen.
Nachteil: Du verhinderst ein großartiges Drama, das noch über Generationen unbeteiligte Dritte hätte unterhalten können.

Implementation von c.:
Es ist schwer, auf einen Verriss nicht mit Verletztheit und Wut zu reagieren. Egal wie sehr man ‚in sich ruht‘, es tut erstmal weh. Das ist in Ordnung. Es zeigt, dass uns an unserer Arbeit etwas liegt und dass es uns wichtig ist, was andere denken.
Der Trick ist, diese Wut zwar zuzulassen, aber nicht daraus zu agieren. Sprich: Steh auf, fluche, schimpfe, heul dich aus, schmeiß Plastikflaschen an die Wand, mach einen Spaziergang, schreib eine beißende Antwort, die du aber nicht abschickst, lies Szenen, die dich stolz machen, oder eine Kritik, die dir ein gutes Gefühl gegeben hat, tu dir etwas gutes, sieh dir Katzenvideos an.
Wenn die Wut schließlich vorbei ist und du wieder konstruktiv darüber nachdenken kannst, setz dich hin, lies sie nochmal und versuche, das Nützliche herauszupicken. Auch der Satz: „Das ist so langweilig, ich könnte kotzen!“ enthält Information, und die wird nur zugänglich1, wenn du nachfragst: „Was genau langweilt dich denn, und was könnte ich ändern, damit es für dich wieder interessant wird?“.

Meine Erfahrung:
Wie die meisten lebenden Menschen, habe auch ich viel Zeit mit a. verschwendet. Das ist okay. Kaum jemand wird mit der Fähigkeit geboren, konstruktiv mit harscher Kritik umzugehen. b. wirkt schon etwas weiser, aber im oben genannten Fall habe ich mich für c. entschieden.
Diese Entscheidung bereue ich nicht, denn nicht nur ich habe sehr davon profitiert. Der Kritiker war im restlichen Gespräch von ganz allein wesentlich freundlicher im Umgang, hat sich sehr viel Zeit genommen, mein wirklich umfangreiches, schwer zu fassendes Verständnisproblem zu lösen, und nebenbei sind noch ein paar Spin-off-Threads entstanden, aus denen ich und viele andere auch noch einiges gelernt haben.

2. Ursache: Ätz-Szenen
Die oben genannte Kritik bezog sich auf ein Set von Szenen, das ich super ungern geschrieben habe. Es gibt einfach so Stellen, die sind kacke. Das Best-Case-Szenario ist dann, dass man die Stelle komplett kicken und ihre Inhalte auf andere Szenen verteilen kann. Der Worst-Case ist, wenn die Stelle schlicht und ergreifend nicht ersetzt werden kann.
Und der Worst-Worst-Case ist, wenn man sich den Scheiß seinerzeit über Tage hinweg zusammenkonstruiert hat und es dann erstmal so aussieht, als könnte man die Stelle nur verbessern, indem man haufenweise umschmeißt und Zeug einfügt, das nicht zur Atmosphäre passt, die man später haben will, oder das eine Beziehung in eine Richtung schiebt, die für alles, was danach kommt, scheiße ist, und es ist einfach mega ätzend und AAAARRRRRRGH!!!.

Mögliche Herangehensweise:
Tief durchatmen. Und dann ganz viele Vorschläge einholen. Glaube fest daran, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Stelle so umzuschreiben, dass sie dir (und der einen oder anderen Leser_in) Spaß macht.

Wenn bei den Vorschlägen nichts dabei ist, das das Problem behebt, setz dich hin und…

a. Mach eine Liste der Dinge, die Szenen interessant machen können2 (z.B. Entwicklung, Konflikt, Spannung, neue Information, neue Geheimnisse, clevere Dialoge usw.).

Wenn es dabei auch noch nicht klick macht:

b. Analysiere die Stelle wie folgt:

  1. Mach ein Diagramm davon, wie die Charaktere in die Stelle hineingehen (Laune, Wissen, Absichten, Beziehung usw.).
  2. Mach ein Diagramm davon, wie sie daraus hervorgehen sollen.
    Mach ein Diagramm davon, wie sie im Ist-Zustand der Stelle von 1. nach 2. kommen.
    Sie dir jetzt die Liste aus a. nochmal an.
    Frage dich,

    • welche Details von Ausgangs- und Endzustand der Charaktere zwingend so sein müssen,
    • welche dort auftauchen können aber auch in einer anderen Szene Platz hätten,
    • welche dort eigentlich gar nicht hingehören,
  3. und

    • welche Details aus der Umgebung der Stelle in diese hineinverlagert werden könnten,
    • welche neuen Details du einbringen kannst, um die Szene zu verbessern.
  4. Sei radikal. Stelle alles in Frage, vor allem das Selbstverständliche.
  5. Probiere aus, schreibe Testversionen, ohne groß nachzudenken, ohne Ziel.

Wenn selbst das nicht weiterhilft, lass die Sache eine Weile liegen. Beschäftige dich mit etwas anderem, entwickle Abstand, mach dir den Kopf frei, ruh dich aus, hab Spaß.
Und dann probier es nochmal.

3. Ursache: Heiß geliebte Lieblingsstellen, auf die man stolz ist
Die sind glaub ich das schlimmste. Egal wie sanft formuliert, die Krönchen der eigenen Schöpfung angezweifelt zu sehen, tut weh.

Hier greifen die Tipps zur 1. Ursache, mit dem zusätzlichen Schritt, sich noch mal wirklich klar zu machen, dass es wichtiger ist, eine gute, stimmige Geschichte hinzulegen, als diese eine so geliebte Sache zwanghaft drinzulassen. Die gekillte Stelle kann man immer noch in einem extra File unterbringen und ab und zu mal wehmütig besuchen; sie ist nur aus der Geschichte raus, nicht aber aus der Welt.

Auch die Tipps zur 2. Ursache können dabei helfen, rauszufinden

  • ob die geliebte Sache anderswo in der Geschichte Platz finden könnte
  • was es überhaupt genau ist, das dich an diese geliebten Sache so reizt, und ob sich dieses Etwas nicht in einer Form reproduzieren lassen könnte, die der Geschichte zumindest nicht schadet,
  • oder ob sich diese beiden Punkte verbinden lassen, so dass das Geliebte in abgewandelter Form woanders in der Geschichte unterkommt.

4. Ursache: Frust, Frust und Frust
Das allen bekannte Szenario: Du hast Stunden, Tage, Wochen an einem Text gedrechselt, ihn monatelang in Form gefeilt und ein halbes Jahr nur mit Polieren zugebracht. Es sind noch Fehler drin, das weißt du, und du weißt auch wo ungefähr, aber alleine kommst du nicht weiter. Du gibst den Text also an deine Betas… und der Großteil der Kritik zählt Fehler in den Teilen der Geschichte auf, die du für super gut gehalten hast.
Okay, ja, du siehst es ein, die Fehler sind da und alles, aber es tut trotzdem weh. Denn du weißt, wie diese Stellen vorher aussahen, du weißt, wie sie ausgesehen hätten, wenn du sie vor einem, zwei oder drei Jahren geschrieben hättest, du weißt, welche Fehler du selbst erkannt oder vermieden hast. Du weißt, wie viel Können und Wissen bereits in diesen Stellen drinsteckt.
Aber außer dir weiß und sieht das niemand. Selbst deine Alphaleser kriegen nicht mit, wie viele und welche Entscheidungen du beim Schreiben getroffen hast.

Kritik misst nicht, was du alles gelernt und wie stark du dich weiterentwickelt hast, nicht wirklich. Sie misst nur, was du noch nicht weißt, noch nicht verstehst, wo du noch nicht weit genug bist.

Ich persönlich gehe damit um, indem ich hier auf meinem Blog festhalte, was ich gelernt habe, was ich verstanden habe, wo ich mich entwickelt habe. Auch konkrete Beispiele, auf die ich stolz bin. Ich denke, das ist wichtig.
Du selbst bist die einzige_, die deine Arbeit angemessen loben kann, und es ist nichts anrüchig daran, das regelmäßig zu tun. Ohne ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein ist das Leben so viel schwerer, anstrengender und deprimierender, man gibt viel leichter auf, lässt sich viel leichter verunsichern, wagt weniger.

Fazit
Loben wir uns regelmäßig und voller Überzeugung selbst, denn wir wissen, wie viel wir bereits geleistet haben. Und nutzen wir jede Kritik, sanft wie harsch, um in der Zukunft noch mehr leisten zu können.

Nun gehet hin in Frieden, meine Kinder. *mit der Hand wedel* Amen.


1 Wenn die Antwort lautet: „Du könntest den Text löschen, deinen Computer verbrennen und nie wieder schreiben.“ sag einfach mal: „Verstehe. Danke für deinen Input :)“ und guck, was passiert. (Spoiler: Nichts. Der Troll hat sich selbst disqualifiziert.)

2 Solche Listen können allgemein fürs Schreiben sehr hilfreich sein. Man kann einfach nicht immer alles im Kopf behalten, und wenn man bei der Arbeit auf eine Sache konzentriert ist, verliert man notwendigerweise alles andere erstmal aus dem Blick.

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3 Kommentare
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^Ela^
9 Jahre zuvor

Also falls es dich beruhigt, in meiner Beta-Druckfahne sind keine Wutausbrüche drin, nur jede Menge Smileys, ist mir mal so aufgefallen, aber das ist halt mein Ding, ich verpacke meine Meinung gerne in lustig-aufmunternde Worte mit Satzzeichengarnitur.;-)

Ich denke es gibt soviele Arten zu Schreiben, wie es Arten gibt zu Kritisieren – ich persönlich schreibe was ich für gut halte (normal), aber als Beta-Leser versuche ich meistens das ein wenig weniger subjektiv zu sehen. Es geht ja nicht darum ob *ich* irgendwas genauso gemacht hätte oder nicht, sondern darum was der eigentliche Autor damit *wollte*. Das versuche ich meist erstmal herauszufinden und dann sehe ich mir an, ob das für mich funktioniert (dass es für den Autoren funktioniert hat, davon gehe ich mal verstärkt aus, Ätz-Szenen oder nicht;-).

Manchmal muss ich auch einfach sagen (das wirst du auch an ein paar Stellen finden): Sorry da stört mich irgendwas, aber ich kann es noch nicht benennen, lass mich mal ein paar Nächte drüber schlafen…Das sind dann vermutlich die Stellen, an denen es mir nicht intuitiv gelungen ist herauszufinden was der Autor damit sagen wollte und dann muss man da eben noch mal drüber sprechen. Kommunikation ist was Tolles! ;-)

Nobody’s Perfect und das ist gut so – ich denke mit dem Mantra fällt es einem gleich viel leichter sich öfter mal selbst gut zu finden. Wenn andere das auch tun, ist das dann ein optionaler Bonus! :-)

^Ela^
Antworten  tine
9 Jahre zuvor

Nee das ist ja auch gestern erst in die Post gegangen, da wäre ich doch schwerstens beeindruckt gewesen, wenns gestern schon dagewesen wäre…;-)