Warum es eine schlechte Idee ist, in Dialogen immer nur ’sagte‘ zu verwenden.

/ März 31, 2014

Albert Camus mit Fluppe im Mund und einer Wolke aus dem Wort 'sagte', die um seinen Kopf rum schwirrt.(Anlässlich eines Tweets von Richard Norden
EDIT: Nach Richards Antwort hab ich mal Statistik gemacht.
Das Prinzip der Schönheit: 500 Normseiten; sagt: 41; fragt: 21; zischt: 3; brüllt: 2; knurrt: 2.)

Es gibt da diesen Schreibtipp, der aus dem englischssprachigen Raum kommt und vor allem in den USA im Rahmen jedweder literaturbezogener Bildungsunternehmung in die Köpfe der Schüler_innen und Student_innen gekloppt wird. Er lautet:

Verwende in Dialogen immer nur ’sagte‘, um wörtliche Rede auszuzeichnen, und verwende keine Adjektive, um dieses ’sagte‘ zu spezifizieren. ‚Sagte‘ ist für die Leserschaft unsichtbar, und wenn du mehr oder etwas anderes als ’sagte‘ brauchst, um die Stimmung deines Charakters zu zeigen, ist deine Rede zu schwach geschrieben.

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Tipp (oder eine abgeschwächte Variante) schon gelesen habe, aber ich halte ihn immer noch für wenig hilfreich.
Aus folgenden Gründen:

1. Der Tipp ist wirklich nur ein Import.
Und eins von diesen sinnlosen aber unsterblichen Memes. Meines Wissens nach ist es aus dem Umstand resultiert, dass im englischen Sprachraum lange auf dem ‚großen Wortschatz‘ als Statussymbol sowie absoluter Voraussetzung für das Schriftsteller_in-Sein herumgehackt wurde und z.T. immer noch wird. Unsichere Anfänger_innen und Leute, die sich profilieren wollen, verkriechen sich deshalb (angeblich) gerne mit einem Thesaurus unterm Schreibtisch und finden aberwitzige Synonyme für die mondänsten Tätigkeiten – wie das Brüllen oder Flüstern oder Anmerken.
Da schlagen versiertere Autor_innen natürlich die Hände über dem Kopf zusammen und ziehen sie dann langsam vorne übers Gesicht runter während sie murmeln: „Weißt du was, am besten schreibt ihr alle einfach nur noch ’sagte‘.“ weil das die einzige Form der Schadensbegrenzung ist, die ihnen da noch einfällt.

2. Wenn es so wäre, wäre es nicht so.
Wenn ’sagte‘ tatsächlich unsichtbar wäre, bräuchte man es nicht zu schreiben. Es würde ‚er‘ oder ’sie‘ als Inquit reichen.

3. ‚Sagte‘ ist ein Hammer, und wenn man sonst kein Werkzeug hat, sieht alles wie ein Nagel aus.
‚Sagte‘ ist nicht unsichtbar, und es ist vor allem auch nicht inhaltsleer. ‚Sagte‘ ist spezifisch für eine Aussage, die ohne bestimmte Gefühlsregung getätigt wird. ‚Sagte‘ ist, wenn jemand nur Information mitteilt.
Wenn ich Dialoge schreibe, verwende ich ’sagte‘ gezielt in ganz bestimmten Situationen, um der_m Leser_in damit etwas ganz bestimmtes darüber zu kommunizieren, in welchem Tonfall die wörtliche Rede gesprochen wurde und in welchem emotionalen Zustand sich der Charakter befindet. Beide sind neutral. Und zwar nicht ‚könnte alles sein‘-neutral, sondern ’neutral‘-neutral.
‚Sagte‘ ist ein spezialisiertes Werkzeug.

4. Sagte tötet und mumifiziert Dialoge
Ich war noch nie Teil dieser mythischen Leserschaft, die das Wort ’sagte‘ nicht sehen kann.
Ich sehe dieses Wort. Ich sehe es sehr gut. Und wenn sonst nichts für die Dialogauszeichnung verwendet wird, wenn niemand jemals knurrt oder schnaubt oder brüllt oder flüstert oder sich erkundig oder einwendet oder meint oder nachhakt oder wissen will oder beharrt, dann finde ich das nicht besonders ansprechend. Es wirkt tot. Alle sagen nur.

Das ist eines der Probleme von Camus‘ ‚Die Pest‚. Oder eines der Stilmittel, wie mans nimmt. Am liebsten hätte er längere Dialogstrecken überhaupt nicht ausgezeichnet, aber weil das so unübersichtlich ist, hat er Zeilen abgezählt und ’sagte‘ hinter jede fünfte oder sechste gesetzt. So bleibt alles trotzdem schön tot und trocken.
A. Huxley hingegen lässt seine Charaktere anmerken, vorschlagen und nachfragen. Sie ’sagen‘ auch öfter mal was, aber dieses ’sagen‘ hat immer eine bewusst verwendete Bedeutung und nicht bloß eine Funktion.

5. Es ist unmöglich und wirklich eine schlechte Idee.
Es ist eine illusorische Vorstellung, man könnte die Stimmung einer Aussage immer in dieser selbst kommunizieren und/oder alles über anderweitige Verhaltensbeschreibungen regeln.
Klar, es gibt Möglichkeiten wie diese hier:

„Schnauze!“ Sie hieb mit der Faust auf den Tisch.
„Schnauze!“ Er lachte immer noch, knallrot und mit Tränen in den Augen.
„Schnauze!“ Sie duckte sich zurück hinter den Busch. „Willst du, dass sie uns entdecken?“
Und natürlich: „Schnauze.“ sagte er.

Aber jetzt stelle man sich einen Dialog vor, in dem die einzigen Auszeichnungen Aktionen des sprechenden Charakters sind und jede Aufwallung mit irgend einer sichtbaren Bewegung oder irgend einer metaphorisch relevanten Beschreibung der Umgebung verbunden ist – oder sogar mit ‚er wurde wütend‘ eine Stimmung behauptet wird – weil ’sagte‘ einfach in den meisten Fällen unzutreffend ist.
Das wäre ätzend repetetetetitiv.
Indem man sich auf ’sagte‘ ohne Adjektive beschränkt, streicht man also einen gigantischen Raum von Möglichkeiten, seine Dialoge zu gestalten.

Fazit:
Die einzige legitime Verwendung für die ’sagte‘-Regel – neben der oben genannten Schadensbegrenzung – ist meiner Ansicht nach eine Schreibübung, mit der man sich durch Begrenzung zwingt, in der Dialogauszeichnung kreativer zu werden.
Denn Inquits sind zwar wichtige Werkzeuge, wenn man lebendige, aussagekräftige Dialoge schreiben will, aber sie sind nicht die einzige Möglichkeit, Dialoge auszuzeichnen. Es ist hilfreich, sich dessen bewusst zu sein.

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2 Kommentare
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Martin Söchting
9 Jahre zuvor

Dieser Beitrag entspricht voll und ganz auch meiner Ansicht.
Auch ich kann den „Schreibtipp“ von Richard Norden weder als nützlich nachvollziehen, noch als tauglich heißen.

Mit freundlichem Gruß

Martin Söchting

Heike Noll
9 Jahre zuvor

Ein sehr schöner und interessanter Beitrag und sehr wahr. Das sehe ich genauso. Ich habe mal in „Die Pest“ reingelesen.
Es wirkt wirklich sehr befremdlich, als wenn der Autor zu bequem gewesen wäre, sich darüber Gedanken zu machen. Fast könnte man sagen, es wäre respektlos gegenüber der Leser, es sich so einfach zu machen und jeden Dialog mit „sagte“ auszuführen.