Am Anfang

    FSK 00

Es ist nur ein Blick, den er ihr zuwirft, ein etwas längerer, ein wenig fragender Blick. Und sie erwidert ihn.
Am liebsten würde sie jetzt aufstehen, seine Hand nehmen und mit ihm vor die Gaststätte gehen, um dort mit ihm nach der richtigen Antwort zu suchen. Aber das macht nicht viel Sinn. Da wären immer noch zu viele Menschen um sie herum, zu viel Trubel für ein Gespräch über Liebe.
Seufzend stützt sie das Kinn in die Hand und mustert ihn aus dem Augenwinkel.
Ein Gespräch über Liebe und ihre Beziehung. Dabei hatte doch alles so schön einfach angefangen, ohne viel Gerede, ohne Fragen. Da war sofort dieses Vertrauen zu ihm da, diese bedingungslose Anziehung, der sie nachgab.
Nun muss sie feststellen, dass ihre Meinungen darüber, ab wann man von einer festen Beziehung sprechen kann, anscheinend auseinander gehen. Tiefe Blicke, Geschmuse, „Ich liebe dich“ und Sex reichen ihm nicht. So kommt jedenfalls sein Verhalten bei ihr an.
Für einen Moment verdunkelt sich ihr Blick. Nach ihrer letzten Beziehung, die ein absoluter Rohrkrepierer war, hatte sie sich geschworen, nie wieder Sex im luftleeren Raum zu haben, dazu bedeuten ihr Körperlichkeiten zuviel. Und nun? Aber wer hätte auch gedacht, dass man sich nach „Ich liebe dich“ noch im luftleeren Raum schwebt! Niemand. Oder wenigstens sie nicht.
„… aufgepasst hat? Hey! Hallo?“ Jemand stößt ihr in die Seite.
„Was? Entschuldige… “
„Na du bist ja voll bei der Sache. Wie hieß nochmal der Hund, auf den Karsten bis vor kurzem aufgepasst hat?“
„Karl-Otto von Siebenfels. Und Frauchen hat Karsten gefeuert, weil er ihm ordinären Dosenfraß verfüttert hat.“
„Hey, das wollte ich erzählen!“ Wieder ein Ellenbogen in ihrer Seite.
Sie bemüht sich um eine schnippische Antwort, versucht, weiter am Gespräch teilzunehmen, doch irgendwann driftet sie wieder in ihre Gedanken ab.Sie könnte wirklich wütend werden. Dieser Blick! Dieser Scheiß-Blick als Antwort auf Hannes: „Und ihr zwei seid also zusammen?“ Ein Grinsen, ein Schulterzucken, fragende Augen, die nicht wissen wollen, sondern „Keine Ahnung“ sagen.
Sie wünscht sich, sie wäre geistesgegenwärtiger und hätte nicht nur unbewusst seine Reaktion nachgeäfft. Aber erstens hat sie nicht mit so einem Interesse einer relativ Fremden an ihrer Beziehung gerechnet, und zweitens hätte sie nie gedacht, dass er… Ach Mann!
Sie hätte „Ja“ sagen und ihn ernsthaft ansehen sollen. So hatte sie sein Grinsen im Gesicht. Das Grinsen, mit dem kleine Kinder sagen, dass sie gar nichts gemacht haben, während ihr Hirn schon am nächsten Streich bastelt. Ein pubertäres Aber-wir-haben-Sex-Grinsen. Warum ein Grinsen? Warum kein Lächeln? Warum kein „Ja“? Es ist doch zum Heulen!
Sie will diese Beziehung! Sie mag diesen Kerl, liebt ihn, vertraut ihn, riecht ihn gern, spürt ihn gern, hört ihn gern. Sie will irgendwann Schwangerschaftsstreifen kriegen wegen ihm! Und sie ist naiv genug, zu denken, dass ihm das nach dem „Ich liebe dich“ und dem Geschmuse und den tiefen Blicken und dem Sex klar wäre.
Sie stößt die Luft aus, während sie nach ihrem halbleeren Bierglas greift. Hoffentlich findet sie auf dem Heimweg die Gelegenheit, ihn zu fragen, wie es mit ihrer Beziehung weitergehen soll.
Wenn er so unentschlossen ist wie sie denkt, wird sich die Sache ohne eine Aussprache noch eine Zeit lang in dieser undefinierten Form hinziehen, und schließlich werden sich ihre Wege wegen einer Kleinigkeit trennen, oder wegen eines Seitensprungs, den er nicht als solchen sieht.
Sie schluckt. Wer hätte das gedacht? Alles war so selbstverständlich…
Erst träge, dann bleischwer plätschert der Abend seinem Ende entgegen. Die Rechnungen werden verlangt und bezahlt, Jacken zusammengesucht, „Kind, was hast du so schlechte Laune heute? Ich hatte das Gefühl, du warst die ganze Zeit woanders.“
Ein Abwinken.
„Unistress.“
Verkrampfte Umarmungen zum Abschied.
Auf dem Heimweg setzt sie mehrmals an, mit ihm zu reden, aber aus irgend einem Grund ist das Schweigen zwischen ihnen so… dick und starr, dass es sie einschüchtert. Erst an der hell erleuchteten Tankstelle, hat sie genügend Mut gefasst.
Sie holt Luft. Doch er kommt ihr zuvor.
„Wart mal hier, ich brauch neue Kippen.“
„Hmm… “
Mit zusammengepressten Lippen sieht sie ihm nach. Vielleicht kann sie es morgen beim Frühstück noch einmal versuchen. Wenn er erstmal seinen Kaffee getrunken hat, ist er auch von zehn ganz verträglich. Oder sie probiert es gleich im Bett. Aber da wird er sich damit rausreden, dass er schlafen will.
Sie kramt in ihrer Hosentasche herum, bis sie ein Stück Papier findet, mit dem sie ihre Finger beschäftigen kann, während sie ihn an der Kasse der Tankstellenbude beobachtet.
Er schäkert mit der Kassiererin. Nein… Sie verengt die Augen zu Schlitzen, um sein Gesicht besser erkennen zu können. Er schäkert nicht nur, er flirtet. Wirft sich in Pose, grinst ein süßes Grinsen…
Fröstelnd tastet sie nach dem Schlüssel zu ihrer eigenen Wohnung. Sie hat ihn dabei. Sehr gut…
Noch einmal sieht sie zu ihm hinüber, wie er gutgelaunt und demonstrativ sein Wechselgeld zählt. Dann wendet sie sich ab und geht nach Hause.

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