Kulturelle Klüfte

/ Januar 10, 2013

Ein gebratenes Hähnchen, das auf einer Bierdose sitzt, dazu der Text: Broiler auf Bölkstoff.Das Kunstwerk‚ spielt in Portugal.

Warum?
1. Deutschland hat das falsche Klima und passt irgendwie nicht zum Feeling der Geschichte.
2. Es muss ein Land sein, in dem kein Französisch gesprochen wird, damit Joanna die Privatgespräche zwischen Sérafine und Louis nicht verstehen kann.
3. Portugal ist das einzige Europäische Land, zu dem ich nicht auf Anhieb eine lange Liste von Stereotypen herunterleiern konnte, was mich hoffen lässt, dass auch andere Leser ohne derartige Erwartungen an die dort lebenden Charaktere herangehen.
4. Portugal hat praktischerweise vor ein paar Jahren sämtliche Drogen legalisiert.

Die Nachteile:
1. Ich selber spreche kein Portugiesisch. Das hat es mir sehr erschwert, rund um Joannas Studium zu recherchieren (ich hätte ihr so gern einen Stundenplan für das nächste Semester gebastelt *schnief*).
2. Bei der Recherche bin ich auf tausend Dinge aufmerksam geworden, die spezifisch für eine bestimmte Kultur sind. Z.B. nennt man den Käse, der in Deutschland als ‚Gouda‘ bezeichnet wird, in Portugal ‚Flämischer Käse‘ – oder um in Deutschland zu bleiben: Was in NRW ‚Bring das mal da rüber‘ heißt, heißt in Franken ‚Trag das mal hinter‘, und ein Brötchen mit Brathuhn ist in Berlin eine Schrippe mit Broiler. Jede Bezeichnung, jede Angewohnheit, jede Praktik ist potenziell für einen Kulturraum spezifisch; das macht es riskant, aber auch super spannend, eine Geschichte in einen anderen Raum als den eigenen zu legen.

Das größte Problem ist aber, die Sprache umzusetzen.
1. Das Kuwe ist auf Deutsch geschrieben, obwohl die Charaktere die meiste Zeit auf Portugiesisch interagieren. Wenn Sérafine mit dem Maler Portugiesisch redet, nennt sie ihn chéri, weil sie ein französisches Wort in portugiesische Rede einfügt. Wenn die beiden Französisch miteinander reden, nennt sie ihn Schatz, weil chéri genau das bedeutet. Ich habe eine Szene, in der der Maler Sérafine auf dem Festnetz anruft, sie also nicht weiß, dass er dran ist. Da das nachfolgende Gespräch auf Französisch stattfindet, meldet sie sich auf Portugiesisch: Stô.
2. Ich bin kein Freund von Wortspielen, Metaphern und Vergleichen, also ist dieser zweite Aspekt des sprachlichen Problems für mich nicht so super relevant. Allerdings kommt es immer schonmal vor, dass irgendwo der Verlauf einer Szene an einer ganz bestimmten Formulierung oder einem ganz bestimmten Wort hängt. Sowas ist dann nicht zu übersetzen, und entsprechend kann ich es nicht verwenden.
3. Und dann war da noch Joannas Cello. Bzw. die Tonabnehmer, die sie hat einbauen lassen. Im Gegensatz zu dem Cello haben die nämlich Namen. Ursprünglich lauteten die: Lotte und Luzi. Zwei Mädchennamen, die im deutschsprachigen Raum mit Adjektiven wie ‚frech, wild, lustig, jung, süß‘ konnotiert sind. Aber gilt das auch für Portugal?
Es pisst mich immer ziemlich an, wenn in Übersetzungen irgendwelche Eigennamen verändert werden, um sie an die Sprache, in die übersetzt wird, anzupassen – und wenn in deutschen Synchros Namen falsch ausgesprochen werden, werd ich garstig. Z.B.: ‚Game of Thrones‚. Lord Tywin. Wird in der Synchro ausgesprochen wie ‚Tivvin‘, sollte eigentlich ausgesprochen werden wie ‚Taiwin’*. Was hab ich mit einen abgesucht nach Lord Tivvin, Tivin und Tiwin!! Dann fand ich Lord Tywin und habe mir der Emphase halber nicht nur eine Hand, sondern gleich meinen ganzen Schreibtisch vor die Stirn geknallt. Und das Haus Baratheon? Bara-téon? Nein! Barátheon, mit gelithpeltem th und Betonung auf der zweiten Silbe. Warum ist das so schwer?
Naja, Joannas Tonabnehmer heißen jetzt Lia und Lucia**, und ganz betont nicht Lotte und Luzi. Weil die Geschichte in Portugal spielt und sich die Leute auf Portugiesisch unterhalten und ihrem Kram portugiesische Namen geben.
Das kann man die Leserschaft ruhig spüren lassen.

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* Hier kann mans sich anhören. Btw: Ist Charles Dance unglaublich sexy oder was? o.o

** Edit Monate später: Hab ihr eine andere Machart von Tonabnehmer verpasst (einen Rebo-Pickup). Heißt jetzt Magneta Banana Guðmundsdóttir – weil magnetisch, bananenförmig und Björk.

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